Am 20. April 2021 ist meine liebe, alte Hundemami fortgegangen. Es war ihr eigener Wunsch, ihr über 17 Jahre alter Körper war nicht mehr wohnlich. Trotzdem steckte sie noch voller Leben, als die Tierärztin kam. Sie ging im aufblühenden Frühling, bei strahlender Mittagssonne und zunehmendem Mond. Ihr Herz blieb stehen und sie war trotzdem noch da.
Ihr elfjähriger Sohn hat mir die Trauer nur bedingt erleichtert. Ich bin immer schuld. Wenn es regnet, wenn es zu heiß ist, wenn der Körper irgendwo schmerzt, wenn jemand stirbt. Alles meine Schuld. Der Hund schaut anklagend und tief traurig. Ich soll ihm seine Hündin zurück geben. Die Welt ist ganz anders und sehr gefährlich ohne die Hündin. Er kann jetzt, zum Beispiel, nicht mehr im Wohngebiet das Geschäft erledigen. Dies wird ziemlich mühsam für alle Beteiligten und Sertralin hilft ihm auch nicht wirklich.
Ich kann nur eine andere Hündin holen. Und das muss bald sein, denn der alte Bub ist nicht mehr gesund. Bestimmt geht ein solches Unterfangen schief. Außerdem will ich meine Hundemami und keinen fremden Hund. Darin sind der Bub und ich uns einig: Wir wollen unsere Maya zurück – und der Teufel hole jeden Rationalismus.
Dreiköpfige Göttin der Wege, Du mit Deinem dreiköpfigen Hund! Zweimal hast Du meine schwarze Hündin zu mir geschickt. Das erste Mal bat ich um einen Welpen von ihr, aber ich war zu jung. Das zweite Mal trug sie meinen Seelenhund im Bauch und ich hatte Teil an ihrer Mutterschaft. Wirst Du mir nun ihr drittes Gesicht zeigen, das mein Leben 12 Jahre lang prägen soll?
Also, schauen wir mal. Was gibts für Hunderln im Land? Hat niemand nette Welpen oder lässt sich scheiden? „Sie finden jetzt keinen Hund“, meinte die Tierärztin. „Wegen der Pandemie. Alle Leute kaufen wie irr Hunde. Und die zahlen Preise, das glauben Sie nicht. Passen Sie bloß auf, wir kriegen lauter kranke Hunde mit gefälschten Pässen rein.“
Ist wahr, stellte ich fest. Rumänische Tierschutzhunde kosten in einer Pandemie plötzlich bis zu 750 Euro und Züchter verlangen ab 2500 oder überhaupt gleich „auf Anfrage“, letzteres zum Beispiel für homöopathisch entwurmte und nicht geimpfte Retriever aus Niederösterreich. „Seltene“ Farben und Exoten boomen offensichtlich, ebenso das Geschäft mit dem Mitleid. Ein Witzbold in der Steiermark offeriert mir sehr gemischte Mischlinge um 850 Euro, weil die Elterntiere noch nie eine Tierarztpraxis von innen gesehen haben. Geht´s noch?
In der Gärtnerei stehe ich vor den Pflanzen und versuche den Setzling zu erfühlen, der in meinen Garten gepflanzt werden möchte. Manchmal sehe ich einen Stein und weiß, der muss mit mir kommen. Wenn ich einen Setzling gekauft oder einen Stein gefunden habe, dann trage ich ihn durch den Garten und lege ihn immer wieder auf den Boden. Hier? Nein. Die Pflanze fügt sich nicht recht ins Beet, der Stein liegt nicht richtig. Ich gehe weiter, bis der Stein perfekt passt und der Setzling wie von selbst an den besten Platz im Beet rutscht.
Das ist kein rationaler Zugang. Das ist nicht das, was ich in meinem naturwissenschaftlichen Studium gelernt habe. Dennoch ist es richtig. Jede Bewegung in der Natur und jede Arbeit mit Lebewesen hat auch eine spirituelle Dimension.
Wie könnte ich einen Welpen bestellen und mir vom Züchter zuteilen lassen? Oder einen Mitleidskauf im Internet tätigen, irgendein Tier in den Warenkorb legen, über das ich nicht viel mehr erfahre, als dass man ihm seine Keimdrüsen im Ruckzuck-Verfahren amputiert hat? Beides ist nicht mein Weg. Ich habe meine alte Freundin bis zum Samhain-Abend ihres Lebens begleitet. Nun muss ich das Neugeborene finden, das mit ihr verbunden ist.
Inu, Inu, wo bist du?
Wir müssen global denken. Über Grenzen blicken. Multikulturell handeln. Tatsächlich sind andere europäische Länder offenbar zum Abzocken von Welpeninteressenten weniger geeignet. Die Inserate sind ehrlicher, die Preisvorstellungen vernünftiger. Bauern und Forstbetriebe inserieren die Arbeitshunde, die nicht bei den Berufskollegen in der Region unterkommen. Ich sehe „Roy“, der die Schafe offenbar nur anwedelt statt sie zu hüten. Im Hintergrund eine typisch irische Landschaft. Die Freiheit Irlands darf ich diesem Hund nicht wegnehmen, das wäre falsch. Ein tschechischer Forstbetrieb würde mir einen gesund glänzenden Schweißhundwelpen gerne überlassen, aber es ist wie mit dem Stein im Garten: Dies fühlt sich nicht richtig an. Eine FCI-Züchterin in Ungarn offeriert mir alle 4 Wochen einen neuen Wurf. Wie viele Hunde hat die Frau, bitte? Falsch. Ein biologischer Collega hat Hütehunde einer italienischen Landrasse abzugeben und antwortet nett. Wo ist das denn? Du lieber Himmel. 3 Stunden Fahrt ab Tarvis. Ich werde mir Corona holen und samt Welpe in Quarantäne müssen. Nicht ganz richtig.
Und dann passt der Stein plötzlich. Ein Inserat ohne Fotos. Die kommen dann per Mail. Ja. Das ist der richtige Wurf. Keine Auswahl mehr, eine einzige Mudi-Hündin sucht mit 11 Wochen noch ein Zuhause. Wir fahren zwei Stunden weit nach Ungarn! Die Verkäuferseite hegt vermutlich berechtigte Zweifel, ob wir wirklich kommen. Der Freund, der mit mir fährt, hegt Zweifel, ob ich nicht einen Puppy-Mill-Welpen aufgeschwatzt bekomme und sieht sich vor Ort dezent um. Er sieht nur einen Nebenerwerbs-Bauernhof mit lauter gepflegten Tieren, darunter die beiden schwarzen Hütehunde. Der große Rüde findet mich und die Leckerli-Packung sehr sympathisch. Auch ein weißer Rüdewelpe geht mir sofort zu, aber sein letztes Schwesterlein versteckt sich hinter der bellenden Mama. Oje. Das ist nicht Liebe auf den ersten Blick, sondern eine Entführung. Kleines Mädchen, du wurdest für einen Grenzübertritt vorbereitet und wir können nur eine Hündin mitnehmen. Sag Lebewohl!
Zuhause teilt mir mein alter Bub mit, ich hätte den Verstand verloren. Dieses DING mit dem erschreckenden Bauernhofgeruch ist keinesfalls eine Hündin und schon gar nicht seine Hündin! Weg damit! Iiih! Grausliches Welpi!
Diese Wogen glätten sich am ersten Todestag meiner alten Hündin. Das lästige DING legt sich abends zur Ruhe und als es morgens aufwacht, ist es ein weibliches Wesen. Der alte Rüde hat das mehrfach mit der Nase nachgeprüft. Seine monatelangen Zurechtweisungen haben sich also ausgezahlt. Er wirkt ein wenig erstaunt.
Am 20.4. starb meine alte Hündin. Im alten Rom beging man am 21.4. ein Fest der Hirten und ihrer Herden (Parilia). Ungefähr zu diesem Termin muss in Ungarn eine kleine Hütehundin gezeugt worden sein. Am 20.4. des nächsten Jahres nimmt sie den Platz ihrer Vorgängerin ein.
Was Hunde miteinander reden, weiß niemand. Das ungarische Ding füllt jedenfalls erstaunlich sicher den leeren Platz. Insbesondere strebt die Kleine ständig zu den Wirtshäusern, in denen die alte Hündin vor den Lockdowns so gern zu Gast war. Ihren älteren Freund beschützt sie sogar vor dem Tierarzt.
Glaube ich an Reinkarnation? Eine gute Frage. Ich sehe, dass sich in der Natur alles zyklisch erneuert. Es gibt nichts, was nicht Zyklen des Vergehens und der Neuschöpfung durchliefe. Vom Zellzyklus bis zum Lebenszyklus eines Universums verläuft nichts linear und nichts endet absolut. Warum sollte es dann mit uns Menschen oder unseren Haustieren anders sein? Ich glaube, ich habe meine Hündin in ihrer dritten Gestalt gefunden. Was sie mich diesmal lehrt, muss die Zeit zeigen.